Interview mit Pater Nikolaus Brantschen

„Der Mensch ist irgendwie alles“ – Ein Gespräch mit Pater Niklaus Brantschen

Wer sind wir eigentlich– gerade in einer Zeit, in der Umweltzerstörung, gesellschaftliche Hektik und innere Unruhe unseren Alltag prägen? Der Heiligenfeld-Kongress 2026 widmet sich dieser zentralen Frage, und Pater Niklaus Brantschen, Jesuitenpater und autorisierter Zen-Meister, eröffnet den Kongress mit seinem Vortrag „Der Mensch ist irgendwie alles“. Wir sprachen mit ihm über sein Leben, seine spirituellen Erfahrungen und seine Sicht auf die große Frage des Menschseins.

Interview mit Pater Niklaus Brantschen

  1. Herr Brantschen, können Sie uns einen Einblick in Ihr Leben und Ihre prägenden Erfahrungen geben?

Ich bin Jesuit, Zen-Meister und Autor. Aufgewachsen bin ich in einer katholischen Familie mit sechs Geschwistern – diese Gemeinschaft hat mich früh geprägt. Mit 22 Jahren trat ich in den Jesuitenorden ein, studierte Philosophie und Theologie in München, Lyon und Tübingen und beschäftigte mich intensiv mit Zen, unter anderem in Japan bei Hugo Makibi Enomiya-Lassalle und Yamada Kôun Roshi. 1988 erhielt ich die Lehrbefugnis in Zen, 1999 die Bestätigung zum Zen-Meister. Viele Jahre leitete ich das Lassalle-Haus und mit Pia Gyger das Lassalle-Institut für Zen – Ethik – Leadership. Heute versuche ich, Brücken zwischen Ost und West, Spiritualität und gesellschaftlichem Engagement zu schlagen.

  1. Welche Werte, Erfahrungen oder Momente haben Ihr Leben besonders geprägt und beeinflussen bis heute Ihr Denken und Handeln?

Wichtig war mir immer die Erfahrung von Verbundenheit – mit Menschen, Natur und Welt. Die Zen-Ausbildung in Japan war ein prägendes Erlebnis: Im Sitzen und Schweigen erkannte ich die tiefe Verbundenheit allen Lebens. Auch Begegnungen mit indigenen Völkern haben mich nachhaltig inspiriert: Sie zeigen, wie wir im Kleinen achtsam und fürsorglich miteinander umgehen können und welche Impulse wir für die gesamte Menschheitsfamilie erhalten. Ich habe gelernt, dass alles Leben vom Leben anderer lebt, dass der Mensch nur einer von vielen Akteuren ist, und dass wir den Sinn nur über die Sinne erfahren können. Staunen ist bekanntlich der Anfang der Weisheit – und diese Haltung begleitet mich bis heute.

  1. Das Kongressthema lautet: „Wer sind wir eigentlich?…in Zeiten von …“. Welche Bedeutung hat diese Frage für Sie persönlich und für unsere Gesellschaft?

Wir tragen alles in uns: Mit den Steinen teilen wir das Sein, mit den Pflanzen das Leben, mit den Tieren das Fühlen. Wir sind die Welt. Gerade in Zeiten von Umweltzerstörung, Zeitknappheit und gesellschaftlicher Hektik heißt das: Wir sind Mitgestalter. Eine Welt, die uns angehört, bleibt uns nicht gleichgültig. Leben zu lieben, zärtliche Freude zu allem und jedem zu empfinden, achtsam mit Ressourcen umzugehen und liebevolle Sorge für Mitmenschen und Mitlebewesen zu üben – das sind Wege, wie wir Verbundenheit konkret leben. Es gibt weder Vergangenheit noch Zukunft, nur die Gegenwart – und in ihr gestalten wir das Leben, das wir lieben.

  1. Warum ist es Ihnen wichtig, Teil des Heiligenfeld-Kongresses zu sein, und welche Impulse möchten Sie einbringen?

Der Kongress schafft Räume, in denen Menschen über das Alltägliche hinausblicken und Fragen stellen können, die sonst leicht verdrängt werden. Ich möchte Impulse geben, die Herz und Geist gleichermaßen ansprechen, und zeigen, dass Spiritualität, Ethik und gesellschaftliches Engagement zusammengehören. Zugleich möchte ich inspirieren, die Welt mit Staunen zu betrachten, die Sinne zu öffnen und die Verbundenheit mit allem Leben zu spüren – Themen, die auch in meinem Buch „Du bist die Welt“ vertieft werden.

  1. Wenn Sie den Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmern jetzt schon einen Gedanken mit auf den Weg geben könnten – welcher wäre das?

Alles hat seine Zeit. Manche Erfahrungen dauern länger, manche weniger lang. In meinem halben Jahrhundert Kurstätigkeit in Bad Schönbrunn habe ich viel gegeben und erhalten – das erfüllt mich mit Dank. Heute, frei von Kurs- und Leitungstätigkeit, habe ich die Chance, Menschen auf neue, unkonventionelle Weise zu begegnen, etwa in den „Tagen mit Niklaus Brantschen“. Ich habe erfahren: Der Mensch ist ein suchendes und fragendes Wesen. Er sehnt sich nach dem Großen Ganzen, nach dem, was älter ist als die Zeit und jünger als der Tag. Ich möchte die Teilnehmer ermutigen, sich dieser Sehnsucht zu öffnen, die Stille zu suchen und zu erkennen, dass wir nicht getrennt sind – wir sind irgendwie alles.

Seien Sie gespannt auf den Eröffnungsvortrag von Pater Niklaus Brantschen beim Heiligenfeld-Kongress 2026 – ein Vortrag, der Spiritualität, Ethik, interreligiösen Dialog und die Weisheit indigener Kulturen auf berührende Weise miteinander verbindet. Sein Buch „Du bist die Welt – Schamanischer Weisheit auf der Spur“ bietet dazu weitere inspirierende Impulse.