Eine kalligrafische Spurensuche zum Kongressthema
Wer sind wir eigentlich? … in Zeiten von …
Von Uta Galuska
Was bedeutet eigentlich diese farbige Spur, dieses sinnliche Zeichen, diese Andeutung – wovon?
Schriftkunst und Lyrik sind die beiden Bögen meines Künstlerherzens und hiermit bringe ich mich als Mitglied des Kongressteams ein. Ich spüre schriftkünstlerisch den Kongressthemen nach und schenke mit Scripturen der Kongress-Choreografie eine zusätzliche sinnliche Dimension. An dieser Stelle folge ich der Bitte und schreibe darüber, wie solch eine Scriptur entsteht und worauf sie hindeutet.
Zuerst möchte ich jedem Betrachter seinen Raum lassen, in welchem er Resonanz und damit ureigene schöpferische Interpretationen findet. Mein zentrales Anliegen ist, diese Resonanzräume zu schützen, und nicht mit intellektuellen Erklärungen zu „in–formieren“. Gleichwohl öffnet der nachfolgende Text eine vielleicht bislang unbeachtete Buchstabenwelt und weckt Neugier auf eine Entdeckungsreise, schriftkünstlerischen Spuren auf spürende Weise zu folgen.
Auf meinem Weg des Schreibens gibt es eher ein Woher als einen Beginn. Mein künstlerischer Ausdruck in Form von Lyrik und Schriftkunst ist sozusagen eine Sichtbarkeit des Zwischen von Woher und Wohin.
Dem Woher gegenüber offen zu sein, ist eine geistige und spirituelle Übung: Im GEDICHT bedeutet sie eine Versenkung durch das Thema hindurch in den urgründigen Sinn von Sprache, Worten, Wörtern. Das Woher zu berühren ist dann ein Geschenk, eine Gnade. Jedes Gedicht, es kommt zu mir aus dem größeren Strömen, dem auch ich zugehörig bin. In der Tiefe und Weite dieses Ursprünglichen und Natürlichen zu spüren, zu erfahren und aus einer dort gründenden lebendigen Schönheit der Dinge meine Freude an ihnen zu bekommen, nährt meine Dankbarkeit. Und in dieser inneren Haltung arbeite ich für das eigene bewusste Spüren und Wahrnehmen und das tiefe Wissen, dass Liebe sich hieraus speist.
In der SCHRIFTKUNST bedeutet dieses Üben, sich in den tiefen Ausdruck von Gedicht und Wort und was es meint zu versenken, um dann in der zu gestaltenden Sichtbarkeit durch Buchstaben eine dem Sinn verbundene Ästhetik zu finden, die das Woher berührt und den Sinn in Form und Farbe auszudrücken vermag.
Die Gestaltung auf einen einzelnen BUCHSTABEN zu reduzieren, die sogenannte SCRIPTUR, entspringt einem Wort schwebender Weite im Gedicht, trägt die Kraft der Mitte und zentriert und weitet zugleich. Jede Scriptur atmet in ihrem Ausdruck die Tiefe sprachlichen Sinns und sprachlicher Verbundenheit, welche ihr die jeweilige Bedeutung im Wort und Wortgewebe schenkt. Die Fülle eines ganzen Gedichts kann auf diese Weise in einem einzigen Buchstaben lebendig sein.
Der Buchstabe als SCRIPTUR ist die ganze Fülle und Dimension des Atmens und damit Fülle und unbenennbare Offenheit zugleich. Er ist abbildende Sichtbarkeit verbundener Dimensionen – wie eine durchscheinende und zugleich abbildende Ozeanhaut die Membran zwischen Meer und Kosmos ist. Dem Woher verbunden zu sein, dort Ursprung zu finden für einen Flow der schöpferischen Kraft, die mich führt, befähigt mich, dem Prozessualen zu folgen, mich ihm ganz anzuvertrauen, ohne um das Wohin zu wissen.
Auf diese Weise entstand auch das W, welches als Scriptur dem WER und dem WIR des Kongressthemas WER SIND WIR EIGENTLICH? zugehörig ist. Das W hat also eine hinweisende Spur auf das Vergangene, ein Finden im Geschehen der Gegenwart und eine Spur, die visionär und kraftvoll in das Wohin führt.
Text von Uta Galuska
Uta Galuska ist freiberufliche Lyrikerin und Schriftkünstlerin. Seit 1993 Studium der Kalligrafie und der freien Schriftkunst. Internationale Einzel- und Gruppenausstellungen, Buchkunst, Poesietücher und Buchveröffentlichungen, wie zum Beispiel „Seelenleben“ (gemeinsam mit ihrem Mann Joachim Galuska), „Liebe in die Welt geschenkt“ (Liebesgedichte und Schriftkunst), „Geheimnis von offenem Jetzt“ (Gedichte einer Reise durch Japan und Schriftkunst).