Interview mit Udo Beckmann

„Bildung ist Würde“ – Ein Gespräch mit Udo Beckmann

Vortragstitel: „Was heißt Lehrkraft sein in Zeiten von KI, Gewalt und seelischer Überforderung?“
Referent beim Heiligenfeld-Kongress 2026

Udo Beckmann ist Grund- und Hauptschullehrer und leitete zehn Jahre lang eine Hauptschule in herausfordernder Lage – mit einer Schülerschaft, die zu rund 80 Prozent aus Familien mit Migrationshintergrund stammte. Als ehemaliger Vorsitzender der zweitgrößten Lehrergewerkschaft in Nordrhein-Westfalen und langjähriger Bundesvorsitzender setzte er sich intensiv für Bildungsgerechtigkeit, faire Arbeitsbedingungen und eine moderne Bildungspolitik ein. Auch heute engagiert er sich ehrenamtlich im Bildungsbereich und gestaltet die großen Bildungskongresse Deutschlands mit.

Beim Heiligenfeld Kongress 2026 widmet sich Udo Beckmann der Frage, wie Lehrkräfte in Zeiten von Krisen, künstlicher Intelligenz, gesellschaftlicher Gewalt und seelischer Überforderung Orientierung geben – und Menschlichkeit bewahren können.

Anita Schmitt hat mit ihm über seine Erfahrungen, Überzeugungen und seinen Blick auf das diesjährige Kongressthema gesprochen.

Herr Beckmann, was wäre Ihnen wichtig, dass wir über Sie wissen?

Ich war zehn Jahre Lehrer und zehn Jahre Schulleiter an einer Schule mit besonderen Herausforderungen – mit einem hohen Anteil an Kindern, die oft mehr mitbringen als nur ihren Ranzen. Viele von ihnen kamen aus anderen Kulturen, teils mit Geschichten von Flucht, Armut oder Ausgrenzung. Diese Zeit hat mich geprägt.

Ich habe erlebt, was Schule leisten kann, wenn sie mehr ist als ein Lernort: ein Ort des Vertrauens, der Begegnung, des Aufatmens. Später habe ich mich als Vorsitzender einer Lehrergewerkschaft stark gemacht – für Bildungsgerechtigkeit, gute Ausbildung der Lehrkräfte und Schulleitungen, faire Bezahlung und eine Ausstattung, die diesem Land gerecht wird.

Heute verantworte ich die Weiterentwicklung der großen Bildungskongresse – des Deutschen Schulleitungskongresses, des Deutschen Schulträgerkongresses und des Deutschen Schulaufsichtskongresses.
Aber im Kern bin ich immer noch das Gleiche geblieben: jemand, der an das Potenzial von Menschen glaubt – und daran, dass Bildung der vielleicht menschlichste Ort in einer unruhigen Welt ist.

Was ist oder war Ihnen im Leben wichtig?

Mir war immer wichtig, dass Schule gerecht ist – dass jedes Kind eine faire Chance bekommt, unabhängig davon, woher es kommt. Ein prägendes Erlebnis war für mich, als ich zum ersten Mal miterlebt habe, wie ein Schüler, der kaum Deutsch sprach, sich durchgekämpft hat – und am Ende selbstbewusst vor der Klasse stand und sagte: „Ich hab’s geschafft.“

Da wurde mir klar: Bildung ist viel mehr als Leistung. Sie ist Würde. Diese Erfahrung zieht sich durch alles, was ich tue – ob im Klassenzimmer, im Kollegium oder heute auf Kongressen, wo wir über die Zukunft des Systems sprechen. Es geht immer darum, Menschen stark zu machen.

Was verbinden Sie mit dem diesjährigen Kongressthema „Wer sind wir eigentlich?… in Zeiten von …“?

Dieses Thema trifft mich mitten ins Herz. Denn „Wer sind wir eigentlich?“ – das frage ich mich oft. In Zeiten von Künstlicher Intelligenz, Rassismus, Gewalt, Kriegen und seelischer Überforderung ist es nicht leicht, Orientierung zu behalten.

Ich glaube, wir sind – oder sollten es wieder werden – Menschen, die die Welt übersetzen können: für unsere Schüler, unsere Teams, für uns selbst. Menschen, die Schutzräume schaffen, in denen Vertrauen wachsen kann. Und Menschen, die Vorbild sind – nicht durch Perfektion, sondern durch Echtheit.

„Wer sind wir eigentlich?“ heißt für mich: uns daran zu erinnern, dass Bildung nie nur ein System ist, sondern immer auch eine Haltung.

Warum wollen Sie Teil des Heiligenfeld-Kongresses sein?

Weil der Heiligenfeld-Kongress Räume schafft, in denen nicht Effizienz zählt, sondern Tiefe. Hier darf man innehalten, spüren, fragen – gerade als jemand, der sonst viel organisiert, plant, strukturiert.

Ich möchte diesen Raum nutzen, um gemeinsam nachzudenken, was es heute heißt, Lehrkraft zu sein – in Zeiten, die uns täglich herausfordern. Und ich hoffe, mit meinem Vortrag Impulse zu geben, die Mut machen: dass Menschlichkeit, Haltung und Empathie keine „Soft Skills“ sind, sondern das Fundament von Schule – und vielleicht auch von Gesellschaft.

Was möchten Sie den Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmern schon jetzt mit auf den Weg geben?

Vielleicht dies:
Wir müssen nicht alles schaffen.
Wir müssen nicht jeden Tag perfekt funktionieren.
Aber wir können uns gegenseitig Halt geben – als Kolleginnen, Kollegen, Menschen.

Wir können beginnen, kleine Schutzräume zu bauen: in unseren Schulen, in unseren Teams, in uns selbst.
Und wir können uns gegenseitig erinnern, dass es inmitten all der Krisen etwas gibt, das bleibt: die Kraft echter Begegnung.
Denn Bildung beginnt nicht mit einem Lehrplan – sondern mit einem Blick, der sagt: Ich sehe dich.

Udo Beckmann spricht am Freitag beim Heiligenfeld-Kongress 2026 in Bad Kissingen.
Sein Vortrag: „Was heißt Lehrkraft sein in Zeiten von KI, Gewalt und seelischer Überforderung?“
Ein Impuls, der Mut macht, Bildung wieder als menschlichen Ort in einer unruhigen Welt zu begreifen.