Das Bild zeigt eine Frau mit einem selbstbewussten Blick. Sie hat lange, gewellte Haare mit hellen Strähnen und trägt ein schwarzes Oberteil. Ihr Make-up ist dezent, betont aber ihre Gesichtszüge, insbesondere ihre Augen. Der Hintergrund ist neutral und lässt die Frau klar hervortreten. Sie wirkt professionell und zugleich modern.
3
Mai

Interview mit Dr. Indrani Alina Wilms

Wir freuen uns, Dr. Indrani Alina Wilms in einem Interview einige Fragen zum Thema „Offenheit – Chance zwischen den Zeiten stellen zu dürfen.

Dr. Indrani Alina Wilms ist Trauma-Expertin, erste deutsche Absolventin des Oxford-Masters in Achtsamkeitsbasierter Therapie, Autorin von „Lebe anders!“.

 

Was bedeutet für Sie persönlich Offenheit und wie können Achtsamkeit und Positive Psychologie zur Offenheit der Menschen beitragen?

Offenheit assoziiere ich insbesondere mit Authentizität, Selbstsicherheit und mitmenschlicher Tiefe:

Wenn ich genuin ich selbst bin und in mir ruhe,… wenn ich mit mir im Reinen bin und mich mit all meinen Talenten und Imperfektionen akzeptiere,…wenn ich mir meiner achtsam von Moment zu Moment gewahr bin, dann bin ich offen und im positiven Sinne „neugierig“ mit dem Geist eines Kindes, das Neues in der Welt entdeckt. Dies erfordert Sicherheit, sich seiner sicher zu sein. Hiermit meine ich nicht etwa ein übersteigertes von sich überzeugtes Auftreten, sondern ein Wissen um und eine Akzeptanz für eigene innere Prozesse.

Zudem erfordert Offenheit auch eine äußere Sicherheit im sozialen und beruflichen Setting. Wenn die Menschen in einem Privatunternehmen oder einer Behörde sich sicher und wertschätzend aufgehoben fühlen, können sie offen und kreativ aus sich schöpfen und gemeinsam über sich hinaus wachsen.

Im Mitmenschlichen entstehen tiefgründige Bindungen und das Gefühl, einander auf einer tiefschürfenderen Ebene zu berühren durch persönliche Offenheit. Ich darf in meinem Leben Momente der Offenheit erleben, wenn Klienten in der Therapie oder im Coaching mir ihre Wünsche und Ängste offenbaren, wenn meine Kinder mit mir Verliebtheitsfreuden und Alltagskummer teilen und wenn ich mich selbst öffne für das, was bereits da ist und darauf wartet, entdeckt zu werden, wie der Blick meines treuen Hundes, das Begrüßungswiehern meiner Pferde oder der Regen der an der Fensterscheibe hinunter perlt.

Wie können Menschen aktiv werden und somit zu positiven Veränderungen beitragen? In ihrem Buch „Lebe anders“ zeigen Sie auf, dass wir ganz anders miteinander leben könnten. Welches Bild haben sie vor Augen und wie könnten wir dorthin kommen?

Wie bei so vielem im Leben, beginnt der erste Schritt bei einem jeden selbst. Wenn alles Leben einer Wurzel entspringt, dann kann auch jeder von uns ein positiver Same der Veränderung sein. Das erfordert eine innere Einkehr, um für sich zu ergründen, wie jeder Einzelne sein Leben führen möchte und welcher, wenn auch noch so kleine, positive Beitrag möglich ist in einer Welt, die augenscheinlich durch Macht, Gier und Kriege dominiert wird.

Das Buch Lebe Anders! Life Coaching mit Achtsamkeit und Positiver Psychologie, das ich mit meinem Kollegen Professor Sven Sohr als Herzensprojekt schreiben durfte, ist eine Schritt-für-Schritt-Anleitung mit vielen kleinen Selbst-Reflexionsübungen, für Menschen, die offen dafür sind, in sich den Samen positiver Veränderung keimen zu lassen. Dabei sind wir als Coaching Duo quasi literarisch an der Seite unserer Leser und eröffnen Wege der Selbstfindung, um dem eigenen ICH offen-wohlwollend zu begegnen und das eigene Leben anders zu gestalten.

Metaphorisch kann man positive Veränderung vergleichen mit einem Crowd-Funding Projekt. Oft geben viele Investoren nur sehr kleine Beträge und doch kann Großes dadurch bewirkt werden, so lange die Anzahl der Investoren genügend groß ist. Wenn analog jeder Leser unseres Buches und jeder Kongressteilnehmer offen ist für inneres Wachstum, und diese keimende positive Veränderung als Multiplikator mit in die Welt hinaus trägt, kann eine bedeutsame positive Veränderungswelle entstehen.

Sie haben ein Buch zu „Gewinnende Gesprächsführung durch achtsame Sprache“ geschrieben. Wie kann die Offenheit zu einer gelingenden Kommunikation beitragen?

Sprache, körperlich und verbal, ist DAS Medium mittels dessen wir in mitmenschlichen Kontakt treten. Wie wir Wünsche und Ängste, Lob und Kritik sprachlich transportieren wird entscheiden, ob der Empfänger offen auf unsere Botschaft reagiert oder zu macht, sich selbst öffnet oder aus einer selbstverteidigenden Reaktanz zu einem vermeintlichen Gegenangriff übergeht.

Die Buchidee habe ich bereits viele Jahre in mir bewegt, da ich in banalen Alltagssituationen, Konfliktcoachings bedeutsamer Firmen und internationalen politischen Krisen tagtäglich beobachtet habe, wie die ungünstige Wortwahl, die wir bereits als Kinder gelernt haben, Türen schließt und Konflikte schürt, anstatt Türen, Herzen und Diskurs zu öffenen und Konflikte zu vermeiden bzw. zu de-eskalieren. Deshalb bin ich sehr dankbar dafür, ein Buch zu genau diesem so wichtigen Thema gemeinsam mit meinem Psychologie-Verlag Junfermann veröffentlichen zu dürfen. Wer durch achtsame Gesprächsführung gewinnend kommunizieren kann ist klar im Vorteil. Würden viele Menschen diese Fähigkeit erlernen und an andere in ihrem Umfeld durch Modelllernen weitergeben, wären Menschen offener für einander, Gegener könnten zu Verbündeten und zahlreiche Konflikte – sowohl im banalen Alltag als auch auf der Weltbühne – befriedet werden.

Vor zehn Jahren haben sie Familien in Sat 1 als „Super Nanny“ beraten. Durch Corona sind viele Familien an ihre Grenzen gekommen. Wie sehen Sie im Moment die Situation von Eltern und Kindern? Gibt es einen erhöhten Therapiebedarf?

Die Sendung hieß Mission Familie und war die seriöse Gegenvariante zur Super Nanny. Ja, leider sehe ich immer weniger psychisch gesunde Kinder und Familien. Besser wäre es, präventive Lösungen zu schaffen, anstatt später jahrelange Therapiebedürftigkeit zu erzeugen. Das beginnt bereits bei Partnerschaften und zieht sich hinein bis ins spätere Familienleben. Immer weniger Menschen scheinen noch in der Lage zu sein, tragfähige Partnerschaften einzugehen. Die Trennungsquoten steigen rasant und der nächste Lebensabschnittsgefährte wartet schon in einer der zahlreichen Dating Apps. Die Digitalisierung mit ihren vielen Vorteilen hat uns oberflächlicher gemacht. Zugleich werden wir immer verschlossener, um uns selbst vor Zurückweisung und emotionaler Verletzlichkeit zu schützen. Tiefergehende, langfristige Bindungen können so nicht entstehen, weder zu einem Partner noch innerfamiliär, wenn Kinder geboren werden.

Die sozialen Medien haben die Fähigkeit der Menschen, sich Face to Face einander zu öffnen verkümmern und aussterben lassen. Viele Jugendliche können nur noch per Klick Freundschaftsbekundungen machen, nicht aber mehr „Hallo“ sagen, wenn ihnen die betreffende Person auf der Strasse begegnet! Ein soziales Kompetenztraining und angewandte psychologische Skills sollten bereits in der Schule als Selbsterfahrungsfach gelehrt werden, um Kinder vorzubereiten auf die Herausforderungen des realen Lebens in Familie, Gesellschaft und Beruf.

Sie haben als Traumatherapeutin die Nachsorge nach dem Amoklauf in Erfurt übernommen. Wie kann man nach einem Trauma wieder zurück zu Vertrauen, Offenheit und Zuversicht finden?

Das ist erst in der letzten Phase der Traumabewältigung möglich. Vorher geht es darum, wieder ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln und eine Bewusstheit dafür, dass die Person Überlebende eines in der Vergangenheit stattgefundenen traumatischen Ereignisses ist. Ein ZURÜCK gibt es nicht aber ein neues nach VORNE. Sobald die Symptome bewältigt sind und die betreffende Person mittels gemeinsam entwickelter Rituale, das Erlebte loslassen und als eins von vielen Ereignissen in den eigenen Lebenslauf integrieren kann, ist es möglich, den Blick wieder in die Zukunft zu richten.

Das Grundvertrauen mag erschüttert worden sein. Dafür hat der Mensch erfahren, wer während des traumatischen Ereigenisses und der Traumabewätligung als haltgebender menschlicher Anker verfügbar war. Das schafft Vertrauen in andere.

Eine erfolgreiche Traumabewältigung schafft auch erstarkende Zuversicht, dass es ein DANACH gibt, egal, wie unbegreiflich das Erlebte auch gewesen sein mag. Sie schafft ein Gefühl von Selbsteffektivität, ein Vertrauen in die eigenen Selbstheilungskräfte, weil der Mensch die Erfahrung macht, sich – mit therapeutischer Begleitung – selbst neu für die Zukunft aufstellen zu können. Wer dem Tod ins Auge gesehen hat und diese Erfahrung gestärkt für sich bewältigen konnte, ist dankbarer für die kleinen Geschenke des Lebens und offener für all das Gute und Herausfordernde, das Rad des Lebens unvorhersehbarerweise an Dreck und Matsch anrollt.

Vielen Dank für das Interview.

Hier finden Sie zu ihren Büchern: Jungfermann Verlag