Krisen Franz Alt
28
Sep

Kongressreferent Dr. Franz Alt im Interview

Dr. Franz Alt – Journalist, Fernsehmoderator und Buchautor – spricht am Kongress „Wie wollen wir leben?“. Wir haben ihn nun vorab schon interviewt, um einige wertvolle Impulse zu kriegen.

1. Sie schreiben auf Ihrer Internetseite „Schon vor der Corona-Pandemie hatten wir die Klimakrise, die Energiekrise, die Flüchtlingskrise und die Finanzkrise. Jetzt kommen noch die Gesundheitskrise, die neue Hungerkrise und die Demokratiekrise dazu.“ Es scheint, als ob wir uns im Krisenmodus befinden. Kommen wir je wieder da heraus und wenn ja, was ist hierfür notwendig? Sehen Sie ein übergreifendes Muster oder einen „Krisenkern“?

Ja, der Kern unserer Krisen ist, dass wir gegen die Natur leben, wirtschaften und arbeiten anstatt mit der Natur. Das stärkste Beispiel dafür ist unser Energieverbrauch. Wir verbrennen heute an einem Tag so viel Kohle, Gas, Öl und Benzin wie die Natur in einer Million Tagen angesammelt hat. Das heißt: Wir benehmen uns etwa seit dem Beginn des Industriezeitalters eins zu einer Million mal falsch gegen die Natur und damit gegen uns selbst, denn wir sind ein Teil der Natur. Deshalb das massenhafte Artensterben und der Klimawandel und die Corona-Krise. Unser Planet hält unser Energieverhalten nicht länger aus. Mit einem Liter Benzin verpesten wir 10.000 Liter Luft. Das wissen wir schon lange und fahren trotzdem Zehn-Liter-Autos.

Erstmals in der Menschheitsgeschichte heißt die Frage aller Fragen: Ende oder Wende? Oder zumindest: Kollaps oder Wende?

2. In unserer Menschheitsgeschichte gab es schon immer Krisen. Was lernen wir aus den Krisen und welche Chance bietet sich für die Menschheit gerade?

Meist lernen wir gar nichts. Sonst gäbe es schon lange keine Kriege mehr. Auch in unserem Privatleben gäbe es weniger Krisen, wenn wir mehr aus Krisen lernen würden. Manchmal  jedoch lernen wir. Zum Beispiel haben Deutsche und Franzosen nach dem Zweiten Weltkrieg und vielen Kriegen zuvor endlich gelernt, dass es mehr Sinn macht, zusammen zu arbeiten als gegeneinander. Heute im Atomzeitalter ist unsere Lernfähigkeit unsere letzte Überlebenschance, denn ein Atomkrieg, der jederzeit möglich ist, weil vorbereitet, wäre der letzte Krieg der Menschheitsgeschichte. Danach gäbe es keine Menschen mehr, die noch einen Krieg führen könnten.

3. Sie schreiben in Ihrem neuen Buch „Nach Corona: Die Zukunft neu denken“:  „Die Zukunft gehört einer menschenfreundlichen öko-sozialen Marktwirtschaft“. Wie kann diese aussehen? Und wo sehen Sie Protagonisten dafür?

Die Aufgaben, die heute vor uns liegen, haben mit den alten Systemen Kapitalismus oder Sozialismus nichts mehr zu tun. Eine ökosoziale Marktwirtschaft verlangt dringend eine solare Energiewende, eine ökologische Verkehrswende, eine nachhaltige Landwirtschaft, eine Abkehr von der monokulturellen Waldwirtschaft, eine dezentrale Wasserwirtschaft, eine zwischen Mann und Frau ausgewogenere Arbeitswelt und insgesamt eine Welt, in der mehr Balance zwischen männlichen und weiblichen Werten herrscht. Die Herren Trump, Bolsenario, Putin, Erdogan und Xi beweisen täglich, dass das alte Patriarchat seinen Höhepunkt überschritten hat. Im Schatten des Alten wächst bereits das Neue. Es ist sichtbar zum Beispiel an der Fridays-for-Future-Bewegung. Hier spielen junge Frauen eine weit größere Rolle als in früheren Bewegungen von unten. Ich lerne auch ständig nachhaltig wirtschaftende Unternehmer und Unternehmerinnen kennen. Das gibt Hoffnung auf einen neuen Sinn. Die Natur braucht und bekommt eigene Rechte. Das Motto einer besseren Welt heißt nicht „Der Mensch im Mittelpunkt“, sondern „Das Leben im Mittelpunkt“. Dazu gehören Tiere und Pflanzen. Es geht jetzt um die Interdependenz allen Lebens. Wir müssen lernen, dass in der Tiefe alles Eins ist.

Die soziale Marktwirtschaft hat in der alten Bundesrepublik bis 1980 erstaunliche Erfolge erzielt. Daran anknüpfend brauchen wir heute im Zeitalter der ökologischen Krise eine öko-soziale Marktwirtschaft. Die Technik allein wird uns freilich nicht retten. Retten kann uns nur eine ganz neue Verbindung von Ethik und Technik. Der Dalai Lama schlägt in unserem neuen gemeinsamen Buch („Schützt die Umwelt“) eine „Weltrevolution des Mitgefühls“ vor.

4. Wie sehen Sie überhaupt die Zukunft der Demokratie?

In den Zeiten der sozialen und asozialen Medien erleben wir, dass unvermeidliche Unsicherheiten in dogmatisierte Gewissheiten umgelogen und umgebogen werden. Das ist der Nährboden für Verschwörungstheorien. Komplexe Zusammenhänge werden versimpelt. Auch deshalb erleben die alten Religionen eine massiven Bedeutungsverlust. Das sind schwere Zeiten für Demokratien, die auf ein gewisses Vertrauen in gewählte Obrigkeiten basieren.  Heutige Demokratien sind in der Krise, weil sie auf die entscheidenden Krisen wie Klimakrise, Energiekrise, Flüchtlingskrise, Umweltkrise und Gerechtigkeitskrisen noch keine überzeugenden Antworten gefunden haben. Die Corona-Krise hat die demokratische Politik bescheidener gemacht, indem sie gelernt hat, auf die Wissenschaft zu hören. Das ist eine neue Chance. In dieser Lernfähigkeit liegt die Zukunft der Demokratie. Demokratie hat dann Zukunft, wenn sie mehr Brücken baut als bisher und damit auch den zunehmenden Hass in unseren Gesellschaften überwindet.

5. Welche Szenarien für die globale und gesellschaftliche Zukunft halten Sie für wahrscheinlich und/oder welche halten Sie für wünschenswert?

Wir können bis 2035 in Deutschland und Europa und bis 2040 weltweit eine 100%-ige solare Energiewende organisieren. Alle Techniken hierfür sind vorhanden. Die Kinder- und Jungendorganisation „Plant fort the Planet“ hat sich zum Ziel gesetzt, tausend Milliarden Bäume zu pflanzen. In den letzten Jahren hat diese Organisation bereits 13.4 Milliarden Bäume gepflanzt. Es geht also viel mehr als wir bisher gedacht haben. Das arme Land Äthiopien hat auf Anregung seines neuen Ministerpräsidenten und Friedensnobelpreisträgers 2019 an einem einzigen Tag 350 Millionen Bäume gepflanzt. Die erste Klimaklage der Welt war in den Niederlanden erfolgreich. Ein Gericht zwang die niederländische Regierung zu einer strengeren Klimapolitik. Das wird Schule machen. Unvermeidliche Katastrophen wie zunehmende Waldbrände auf der ganzen Welt sind dabei unsere besten Lernhelfer. Während ich diese Zeilen schreibe, brennt bereits die halbe Welt: Von Kalifornien bis Sibirien, von Zentralafrika bis nach Amazonien. Vielleicht verstehen wir endlich die Zeichen der Zeit als Weckrufe. Dann, aber nur dann, ist die große ökologische Transformation noch möglich.

Die positive Nachricht: Noch liegt alles in unserer Hand. Ein ökologischer und digitaler Humanismus könnte uns noch retten.

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